Fragen und Antworten für Schulleitung

Was ist ein sexualpädagogisches Konzept, das auf dem Kooperationsmodell beruht? Und wie kann ein solches an unserer Schule etabliert werden?

Ein sexualpädagogisches Kooperationsmodell berücksichtigt die Bedürfnisse der verschiedenen Akteur_innen im Bereich der Sexualaufklärung. Die Akteur_innen sind Schüler_innen, Eltern (sie tragen die Hauptverantwortung im Erziehungshandeln), Lehrpersonen (haben aufgrund des Bildungsauftrags eine wichtige Rolle betreffend der Entwicklungsförderung von Kindern und Jugendlichen) und schulexterne Fachpersonen in sexueller Gesundheit. Das Modell soll ermöglichen, dass Ängste und Widerstände angesprochen und geklärt werden können. Das Zusammenarbeiten der an der Sexualaufklärung massgeblich involvierten Parteien ermöglicht es, dass die Schüler_innen von verschiedenen Seiten Informationen zur Sexualität erhalten und so, durch den Abgleich der Informationen aus den verschiedenen Quellen, in ihrer psychosexuellen Entwicklung unterstützt werden. Kinder und Jugendliche, die in ihrer Persönlichkeitsentwicklung begleitet werden und sich mit ihrer Sexualität beschäftigen können, haben eine gute Ausgangslage, um sich selber verstehen zu können und um eine selbstbestimmte Sexualität zu leben.

Die Finanzierung von externen Fachpersonen ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich geregelt. Nehmen Sie mit der Fachstelle Ihres Kantons Kontakt auf, um diese Frage zu klären.
Die Lehrpersonen müssen früh in den Aufbauprozess des sexualpädagogischen Konzeptes miteinbezogen werden. Ohne ihr Vertrauen und ihre Überzeugung, kann die Kooperation nicht funktionieren. Eltern brauchen von Anfang an transparente Informationen. Sie möchten Kenntnis davon haben, in welcher Weise und zu welchen Themen mit ihren Kindern gearbeitet wird.

Welche Vorteile bringt es für die Sexualaufklärung, wenn zusätzlich externe Fachpersonen beigezogen werden?

Sexualaufklärung durch externe Fachpersonen geschieht im Kontrast zum Schulalltag. Diese Unterrichtsform kann erleichtern, dass sich Kinder und Jugendliche auf Themen rund um Sexualität und Beziehung einlassen. Die Unabhängigkeit, die Neutralität und  das Fachwissen einer externen Fachperson kann dazu beitragen, dass Fragen zielgruppenspezifisch beantwortet und weiterführende Informationen vermittelt werden können, wodurch ein Beitrag zur sexuellen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen geleistet wird.

Lehrpersonen berichten, dass ihre Schüler_innen nach einer Einheit mit externen Fachpersonen gelassener mit sexuellen Themen umgingen, da persönliche Themen besprochen werden konnten, was für sie wichtig war.

Was sind sexuelle Rechte und wie wirken sich diese auf den Sexualaufklärungsunterricht aus?

Die sexuellen Rechte sind aus der «Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte» (AEMR, 1948) abgeleitet. An der UNO-Konferenz zu Bevölkerung und Entwicklung, die 1994 in Kairo stattgefunden hat, wurde Familienplanung erstmals in einen erweiterten Kontext von Sexualität, Reproduktion, Gesundheit und Menschenrechte gestellt. 1996 erarbeitete die International Planned Parenthood Federation (IPPF), die «Charter on Sexual and Reproductive Rights». 2008 wurden die IPPF-Erklärung der sexuellen Rechte veröffentlicht. Diese Erklärung umfasst 10 sexuelle Rechte, welche wie die Menschenrechte universell und unteilbar sind:

1. Das Recht auf Gleichstellung, gleichen Schutz durch das Gesetz und Freiheit von allen Formen der Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Sexualität oder Gender

2. Das Recht auf Partizipation, unabhängig von Geschlecht, Sexualität oder Gender

3. Die Rechte auf Leben, Freiheit, Sicherheit der Person und körperliche Unversehrtheit

4. Das Recht auf Privatsphäre

5. Das Recht auf persönliche Selbstbestimmung und Anerkennung vor dem Gesetz

6. Das Recht auf Gedanken und Meinungsfreiheit, das Recht auf freie Meinungsäusserung und Versammlungsfreiheit

7. Das Recht auf Gesundheit und das Recht, am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben

8. Das Recht auf Bildung und Information

9. Das Recht auf freie Entscheidung für oder gegen die Ehe und für oder gegen die Gründung einer Familie sowie das Recht zu entscheiden, ob, wie und wann Kinder geboren werden sollen

10. Das Recht auf Rechenschaftspflicht und Entschädigung

Die sexuellen Rechte gelten auch für Kinder und Jugendlichen, finden jedoch dem Entwicklungsstand angepasst Anwendung und berücksichtigen die sich entwickelnden Fähigkeiten. Die IPPF-Erklärung der sexuellen Rechte wahrt die Achtung vor dem Kind, seine Würde und seinen Anspruch auf Schutz vor Schaden aller Art und anerkennt zugleich den Wert des eigenen Beitrags zu seinem Schutz. Die Gesellschaft muss Rahmenbedingungen schaffen, in denen Kinder ihre Fähigkeiten voll entfalten können. Es gilt Kinder und Jugendliche bei Entscheidungen die ihr Leben betreffen einzubeziehen, ihnen Verantwortung für wichtige Entscheidungen zu übertragen und diese zu respektieren.

Ein wichtiges Element der sexuellen Rechte ist, dass Sexualität als wesentliches Element des menschlichen Lebens anerkannt wird. Sexuelle Lust wird als Bereicherung für das Wohlbefinden gesehen. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, unter der Voraussetzung, dass die Integrität und die Würde des Gegenübers oder der Mitmenschen nicht verletzt wird. Selbstbestimmte und verantwortungsvolle Entscheidungen im Bereich des sexuellen und reproduktiven Lebens sowie selbstbewusst zum Ausdruck gebrachte sexuelle Identität fördern einen hohen Gesundheitszustand.

Sexualaufklärung ist unter dem Recht auf Bildung Teil der sexuellen Rechte und gleichzeitig ein wichtiges Mittel, um Kenntnis von den sexuellen Rechten zu erlangen. Ganzheitliche Sexualaufklärung basiert auf den Menschenrechten. Sie trägt dazu bei, dass grundlegende Werte und Prinzipien im Bereich der Sexualität (Recht auf Selbstbestimmung, Freiheit, Privatsphäre, Nichtdiskriminierung, Entschheidungsfreiheit) im Respekt vor dem Gegenüber und den Mitmenschen (Recht auf körperliche Unversehrtheit und Würde) gefördert, geschützt und garantiert werden. 
Ganzheitliche Sexualerziehung ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit sozialen Aspekten wie Gender, traditionellen Rollenbildern, Beziehungs- und Familienformen und trägt zu respektvollen Beziehungen bei.

Brauchen Kinder und Jugendliche mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung ebenfalls eine Sexualaufklärung?

Wie alle Menschen haben auch Kinder und Jugendliche mit Behinderung Anliegen und Fragen zu Sexualität und sind unterschiedlichen, auch medialen Einflüssen ausgesetzt. Auch sie haben das Recht auf eine Sexualaufklärung, die auf ihre Fragen eingeht und ihrer Entwicklung und ihren Fähigkeiten Rechnung trägt. Eine geistige oder körperliche Behinderung erfordert unter Umständen mehr Zeit, Unterstützung und Begleitung. Diesen Bedürfnissen muss eine Sexualaufklärung für Kinder und Jugendliche mit Behinderung gerecht werden. Es Bedarf eventuell spezifischer Hilfsmittel, um den Einfluss der Behinderung auf den Alltag, das erhöhte Risiko einer Schwangerschaft, eines sexuellen Missbrauchs oder einer HIV/STI-Ansteckung zu berücksichtigen. Wie alle andern haben diese Kinder und Jugendlichen das Recht, in ihrer Sexualität anerkannt, gehört und geschätzt zu werden. Die Sexualaufklärung respektiert ihr Recht auf Privatsphäre und setzt sich für das Prinzip der «sexuellen Verantwortung» ein. Das bedeutet, dass die sexuelle Identität jeder Person und ihr Recht auf ein qualitativ gutes Sexualleben anerkannt ist. (A.Dupras, 2010).

Muss ich die Eltern informieren, wenn ich eine sexualpädagogische Einheit durch externe sexualpädagogische Fachpersonen in meiner Klasse durchführen möchte?

Eine Elterninformation macht Sinn. Eltern sind die Hauptverantwortlichen für die Sexualaufklärung ihrer Kinder. Die Schule unterstützt die Eltern bei diesem erzieherischen Auftrag, darum soll der Dialog zwischen den Lehrpersonen und den Eltern gefördert werden. Eltern sollen nicht den Eindruck erhalten, dass ihr innerfamiliäres, sexualaufklärerisches Erziehungshandeln bewertet oder hinterfragt wird, sondern sie sollen in ihrer Rolle durch fachlich fundierte Informationen von Fachpersonen gestärkt werden. Durch die Transparenz über die vermittelten Inhalte und die Arbeitsweise der Lehrpersonen und der externen Fachpersonen wissen sie, mit welcher Ergänzung sie rechnen können. Wird im Kindergarten und der Unterstufe Sexualaufklärung durchgeführt, ist es sinnvoll, die Eltern im Vorfeld mit einem Elternbrief zu informieren und ihnen die Möglichkeit für Rückfragen einzuräumen. Arbeitet die Schule zusätzlich mit externen Fachstellen zusammen, ist es empfehlenswert in regelmässigen Abständen Elternvorträge anzubieten, bei welchen die Eltern die Fachpersonen kennenlernen können.

Elternabend

Dürfen Eltern ihre Kinder von der Sexualaufklärung dispensieren lassen?

Es ist Sache der Kantone, über die Möglichkeit der Dispensation zu entscheiden. Wichtig ist, dass die Schulleitung das Gespräch mit den Eltern sucht. Eltern sollen sachlich und transparent über die Wichtigkeit von Sexualaufklärung informiert werden. Sexualaufklärung ermöglicht Kindern eine positive Einstellung zu sich und ihrem Körper zu entwickeln und einen verantwortungsbewussten Umgang mit sich selbst und anderen zu erlernen. Sexualaufklärung hat die Absicht, die Persönlichkeit und das Selbstvertrauen von Kindern und Jugendlichen zu stärken. Sie hilft den Kindern und Jugendlichen sich Fähigkeiten anzueignen und Lebenskompetenzen zu entwickeln welche sie befähigen, ihre Sexualität und Beziehungen selbstbestimmt erfahren und leben zu können. Zudem ermöglicht sie allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu Information und Bildung, was ihr Recht ist. Als Schulleitung empfiehlt es sich, die Besorgnisse der Eltern ernstzunehmen und auf die Gründe einzugehen, die ihrer Meinung nach gegen Sexualaufklärung in der Schule sprechen. Vielleicht hilft es mit einer Sexualpädagogin oder einem Sexualpädagogen Kontakt aufzunehmen, um den besorgten Eltern die Ziele und den Inhalt des Unterrichts zu erläutern. Heranwachsende haben ein Recht auf Information und Bildung - auch im Bereich der Sexualität; und dies unabhängig von ihrer kulturell-religösen Herkunft. Sexualpädagogik leistet einen Beitrag zur Integration, indem sie einen Wertediskurs anregt und nebst den Rechten auch die Pflichten aller Personen einfordert, die in der Schweiz leben. Es ist wichtig, dass Heranwachsende die in der Schweiz geltenden Normen und Werte unseres Zusammenlebens, sowie die hier geltenden gesetzlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit Sexualität und Beziehung (z.B. Mann und Frau sind gleichberechtigt, freie Wahl der Partnerin / des Partners, keine Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität) kennen und respektieren.

Wie sieht Sexualaufklärung durch schulexterne Sexualpädagoginnen und Sexualpädagogen konkret aus?

Im Vorfeld einer Klassenveranstaltung zu Sexualaufklärung wird der Einsatz mit der Lehrperson vorbesprochen. Dabei werden das Vorgehen, zu behandelnde Inhalte, die Einbettung in die Unterrichtsplanung, Besonderheiten auf die im Unterricht Rücksicht genommen werden müssen, allfällige Elterninformation usw. besprochen.

Je nach Thematik wird ein geschlechtergetrennter oder geschlechtergemischter Unterricht vereinbart. In der Regel werden die Lehrpersonen aufgefordert, die Schüler_innen anonyme Fragen aufschreiben zu lassen, damit sich die Sexualpädagog_innen auf den Unterricht vorbereiten und auf die Interessen der Schüler_innen eingehen können, ohne dass diese sich im Unterricht exponieren müssen.

Da die Sexualpädagog_innen die Kinder und Jugendlichen nicht kennen, kommt dem Einstieg in die Thematik eine wichtige Rolle zu. Ein spielerischer Einstieg mit Vorstellungsrunde, dem Treffen von Abmachungen und einem ersten Austausch über Liebe, Freundschaft und Sexualität bricht das Eis und begünstigt eine vertrauensvolle Atmosphäre. Je nach Schwerpunkt wird spezifisches Veranschaulichungsmaterial verwendet: Bilder, Videosequenzen, Modelle der inneren und äusseren Geschlechtsorgane, Symbolgegenstände, Verhütungsmittel, Broschüren usw.

Es wird viel Wert auf abwechslungsreichen und interaktiven Unterricht gelegt, wobei alle Schüler_innen für sich entscheiden, wie stark sie sich einbringen wollen.

Eine Auswertung mit den Schüler_innen und eine Nachbesprechung mit der Lehrperson schliessen die Klassenveranstaltung ab.